Analyse aus der Rhein-Zeitung Koblenz

Wie die Borussia ihren guten Ruf verspielt

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In Gladbach ist eine Zäsur bei der Planung des Kaders dringend geboten. Eine Analyse von Klaus Reimann für die Rhein-Zeitung Koblenz.

Zehn Spieltage vor Saisonende sind die Fragen nach Meisterschaft und Abstieg offener denn je. Überall zieht diese Bundesliga-Saison die Fans in ihren Bann. Überall? Nein! Bei Borussia Mönchengladbach leistet eine Mannschaft mit fortschreitendem Desinteresse an diesem Wettbewerb erfolgreichen Widerstand gegen das Spannungsmoment.

Seit dem Umzug in den Borussia-Park vor nun auch schon fast 20 Jahren stand bei den Gladbachern immer etwas auf dem Spiel. In den ersten acht Jahren zuvorderst der gute Ruf. 2007 der Abstieg, 2008 der direkte Wiederaufstieg und in der Folgezeit das stete Bangen um die Erstklassigkeit. Bis Lucien Favre die Mannschaft 2012 geradezu sensationell in die Qualifikation zur Champions League führte.

Der grundsolide geführte Familienbetrieb Borussia Mönchengladbach blühte in den folgenden acht Jahren auf. Dreimal ging es in dieser Zeit in die Champions League. Max Eberl begründete als Sportdirektor eine neue Gladbacher Ära, die erst endete, als der von Eberl verpflichtete Trainer Marco Rose alsbald nach Dortmund abwanderte und dem zunehmend von seinem Job gestressten und aufgefressenen Eberl der Kompass verloren ging. Denis Zakaria, Matthias Ginter, Marcus Thuram oder Alassane Plea – es wurde nur noch über mögliche Abgänge spekuliert, aber nicht mehr in die Zukunft der Mannschaft investiert.

Ob Rose-Nachfolger Adi Hütter unter dieser Problematik litt oder ob der Österreicher mit das Problem war, ist aus heutiger Sicht eine müßige Frage. Fakt ist, die Mannschaft verlor den Zusammenhalt. Ein Zustand, der andauert und zum dauerhaften Problem zu werden droht. Aktuell gibt sich bei den Fans der Borussia, so sie überhaupt noch ihrer Mannschaft zugeneigt sind, die wenig erquicklichen Darbietungen ihres Teams zu erleiden, kaum noch jemand der Illusion auf eine mögliche Besserung der Situation hin. Nicht in dieser Spielzeit. Nicht mit dieser Mannschaft.

Eine Mannschaft, die auf dem besten Weg ist, die zweite Saison in Folge irgendwo im Niemandsland der Tabelle zu beenden. Ein Aufbäumen gegen die sich manifestierende Bedeutungslosigkeit im Ligageschehen ist jedenfalls nicht zu erkennen. Woran liegt das? Natürlich weisen Trainer Daniel Farke und Sportdirektor Roland Virkus es weit von sich, wenn von fehlender Einstellung bei den Borussia-Profis die Rede ist. Aber wie anders ist zu erklären, wenn an dem einen Wochenende der FC Bayern in die Schranken verwiesen und mit 3:2 besiegt wird – und die gleiche Gladbacher Mannschaft kurz drauf beim FSV Mainz 05 sang und klanglos mit 0:4 untergeht?

1:11 Tore in den vergangenen drei Auswärtsspielen, in denen als einzige Konstante der totale Einbruch nach dem ersten Gegentreffer zu nennen wäre – der Begriff Mannschaft für elf im gleichen Trikot über den Rasen irrende Spieler ist kaum noch angebracht. Siege gegen Leipzig, Dortmund und eben Bayern zeigen: Spielerisch hat die Borussia das Zeug für einen Platz im oberen Tabellendrittel. Was den Akteuren fehlt, dieses Leistungsvermögen konstant abzurufen, ist augenscheinlich die mangelnde Bereitschaft, stets an ihre Grenzen zu gehen.

Ein Grund dafür wiederum ist die fehlende Hierarchie im Kader. Es mangelt an Typen wie ehedem Stefan Effenberg, Martin Stranzl oder Granit Xhaka. Spieler, die in der Kabine auf den Tisch hauen und auf dem Rasen die Ärmel hochkrempeln und mitreißen. Das hat die Endphase unter Trainer Rose gezeigt, das hat das Hütter-Intermezzo unterstrichen. Und diesen Malus vermag auch der aktuelle Coach Farke nicht zu kompensieren. Im Gegenteil: Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei der Borussia immer weiter auseinander – da können Farke und Virkus sich noch so bemühen, die eigenen Ansprüche herunterzuschrauben, um die Realität etwas freundlicher aussehen zu lassen.

In der Liga zunehmend an Bedeutung zu verlieren, ist die eine Seite, der fehlende Rückhalt bei den Fans die andere, für die Zukunft der Borussia mindestens ebenso gefährliche Seite des aktuellen Abwärtstrends. Der ist nur durch eine Einkaufspolitik im Sommer zu stoppen, die, wenn sie schon nicht den sofortigen Wandel herbeiführen kann, zumindest eine Trendwende einleiten muss. Eine Zäsur ist unabdingbar. Mit dem Abgang (einstiger) Leistungsträger wie Thuram und Ramy Bensebaini braucht es Spieler mit Charakter und einem hohen Grad an Identifikation mit dem Klub, um die Borussia wieder auf Kurs und die Fans hinter sich zu bringen. Vor allem braucht es mehr Entschlossenheit und Willen bei der Teilnahme am Spielbetrieb Bundesliga.

 

von Klaus Reimann - Rhein-Zeitung Koblenz


Dieser Artikel wurde am 14.03.2023 in der Rhein-Zeitung Koblenz veröffentlicht. Die Wiedergabe zur Verarbeitung im Pressespiegel von TORfabrik.de erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rhein-Zeitung Koblenz.

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