Als Christoph Kramer im letzten Sommer aus Leverkusen zurück nach Mönchengladbach wechselte, kam ihm fast alles bekannt vor. Nur auf der sportlichen Ebene hatte sich in seiner einjährigen Abwesenheit etwas Grundsätzliches verändert: Lucien Favre war abgetaucht und Nachfolger André Schubert damit beschäftigt, einen veränderten Spielstil zu etablieren.
Kramer hatte in seinem Jahr in Leverkusen unter Roger Schmidt das System des ›geplanten Chaos‹ kennengelernt. So richtig warm wurde er mit dem extremen Gegenpressing inklusive einkalkulierter Ballverluste nicht. André Schubert ließ zwar nicht ganz so wild und aggressiv wie Schmidt spielen, doch die Tendenz in Gladbach ging deutlich weg vom kontrollierten Ballbesitzspiel à la Favre, mit dem Kramer ›groß‹ geworden war.
Die Erfahrung aus Leverkusen half Kramer, sich im System von Schubert zurechtzufinden. Von Beginn an war er im defensiven Mittelfeld gesetzt, zunächst an der Seite von Strobl, später vermehrt von Dahoud. Es ließ sich gut an, wie am ersten Bundesligaspieltag daheim gegen seinen Ex-Club Leverkusen, als Kramer für ›unzählige Störaktionen und Ballgewinne‹ sowie den Assist zum Führungstreffer gelobt wurde.
Die englischen Wochen kosteten Substanz
Zwar machten sich bei Borussia in den ersten zehn Spielen schon kleinere Probleme in Sachen Kompaktheit bemerkbar (Freiburg, Manchester), doch konnten diese in der Gesamtheit durch gute Offensivleistungen übertüncht werden. Kramer zeigte in dieser Saisonphase einige starke Spiele, vor allem in der Champions League. Gegen Barcelona und in Glasgow verdiente er sich als ›Rudelführer‹ und durch seine Präsenz jeweils die Note 1,5.
Die laufintensive Spielweise kostete Kramer in den englischen Wochen einiges an Substanz. Ende Oktober hemmten ihn Rückenbeschwerden, beim Spiel gegen Frankfurt (0:0) merkten wir in der Einzelkritik an, dass ›sich bei Kramer der Akku langsam leert‹. Anfang November beim 0:3 in Berlin war Kramer ziemlich von der Rolle (Note 5,0) und flog mit Gelb-Rot vom Platz.
Es folgte eine Länderspielpause und da Kramer zudem in der Champions League gegen Glasgow seine dritte Gelbe Karte gesehen hatte, musste er sowohl das Derby gegen Köln, als auch das letzte Königsklassen-Match gegen Manchester von der Tribüne aus anschauen.
Kramer ging überfordert mit unter
Die dreiwöchige Pause war zwar gut für Kramers Akku, aber seine Rückkehr folgte just in der Phase, in der es für Borussia nahezu im freien Fall nach unten ging. Nachdem gegen Hoffenheim der verdiente Sieg verpasst wurde, wich Schubert komplett von seiner Linie ab, was letztlich im Wirrwarr endete.
In Dortmund wurde Gladbach mit 4:1 auseinandergenommen, Christoph Kramer ging überfordert mit unter. Beim Debakel drei Tage später in Barcelona hatte er noch Glück, nur in der letzten halben Stunde mitspielen zu müssen. Am Wochenende beim Grusel-Heimsieg gegen Mainz fehlte er krankheitsbedingt, eine Woche später in Augsburg wurde er nach durchwachsener Leistung von Usami vom Platz getreten und erlitt dabei einen Außenband- und Kapselriss.
Während sich Kramer in der kurzen Winterpause von der schweren Verletzung schneller erholte als erwartet, übernahm Dieter Hecking das Traineramt bei Borussia. Der neue Coach legte sich früh fest, dass Kramer für ihn ein wichtiger Faktor im Mannschaftsgefüge ist. Kramer erhielt nicht nur Rückendeckung und Vertrauen von Hecking, sondern auch klar definierte Aufgaben.
In der ›Crunch-Time‹ schmerzlichst vermisst
Während die Sechser in der Hinrunde riesige verwaiste Flächen bearbeiten mussten und dabei meist hinter ihren Gegenspielern her hechelten, kam ihnen nun die veränderte Grundordnung zugute. Durch die stabile defensive Staffelung wurden die Räume effektiv verknappt, was Kramer und Co. die Balleroberung vereinfachte.
Aus einer solchen Situation heraus entsprang Kramers Assist zum Siegtreffer in Leverkusen. Dieser erste Auswärtssieg war das Startsignal der stärksten Gladbacher Saisonphase. Kramer war dabei der absolute Fixpunkt im Mittelfeld. ›Er reift immer mehr zur Führungspersönlichkeit‹ hieß es in der Einzelkritik zum Spiel gegen Leipzig.
Dass es für Borussia nach hinten heraus zu einer unbefriedigenden Saison wurde, lag auch daran, dass Christoph Kramer in der ›Crunch-Time‹ schmerzlich vermisst wurde. Am 16. März im Halbfinalrückspiel der Euro-League gegen Schalke zog er sich einen Innenbandriss im Knie zu. Beim Halbzeitstand von 2:0 für Borussia musste er in der Kabine bleiben.
Insgesamt eine gelungene Rückkehr
Ohne Kramer gab es nach der Pause das verhängnisvolle 2:2. In den nächsten anderthalb Monaten verpasste er acht Spiele, u.a. das Pokalhalbfinale - Borussia gewann in dieser Zeitspanne nur drei Partien. Überraschend früh gab Kramer Anfang Mai gegen Augsburg sein Comeback und stand auch in den letzten beiden Spielen in Wolfsburg und gegen Darmstadt auf dem Platz. Der fehlende Spielrhythmus war ihm dabei logischerweise noch anzumerken.
Auch wenn die Spielzeit letztlich nicht so erfolgreich war wie erhofft, ist die Rückkehr von Christoph Kramer gleichwohl als gelungen zu bezeichnen. Der 26-Jährige ist spätestens seit der zweiten Halbserie zu einem Führungsspieler aufgerückt und hat durch die Hierarchie- und Systemfestlegung von Dieter Hecking profitiert. Auf dem Weg zurück nach Europa wird Christoph Kramer ein fester Bestandteil sein und er dürfte zudem von den Qualitäten seinen neuen Nebenmannes Denis Zakaria profitieren.