Borussen sind zu brav

Ein bisschen mehr Boateng

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Dreckig, aber erfolgreich (Foto: Alex Grimm / Bongarts / Getty Images)

Dreckig, aber erfolgreich (Foto: Alex Grimm / Bongarts / Getty Images)

Sind die Spieler von Borussia Mönchengladbach zu brav? Diese Frage ist nicht neu, doch sie gewinnt in der laufenden Saison zunehmend an Bedeutung. Das Spiel in Frankfurt machte nochmals deutlich, dass Borussia die 'Drecksackmentalität' fehlt. Das könnte sich rächen.

Borussias Trainer Dieter Hecking nannte im Vorfeld der Partie bei Eintracht Frankfurt das Kind beim Namen. Er sprach von einer provokanten und nickeligen Spielweise der Kovac-Truppe, auf die seine Spieler sich vorbereiten müssten. Nach dem Spiel konnte man feststellen, dass sich die Borussen durchaus auf die Frankfurter Gangart eingestellt hatten. Sie wehrten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die letztlich aber doch nicht ausreichten.

Es zeigte sich nicht zum ersten Mal, dass die Gladbacher in solch physischen Abnutzungskämpfen den Kürzeren ziehen. Nicht nur gegen die Eintracht vom Main, wobei Frankfurt diese Art perfektioniert hat, was durchaus Respekt verdient. Schließlich geht es im Fußball letztlich immer darum, das Optimum aus dem herauszuholen, was der Kader hergibt. Und das macht Nico Kovac bravourös – auch wenn sich seine Mannen oft am Rande der Legalität bewegen.

In Gladbach rätselt man dagegen schon seit geraumer Zeit, was das Team noch braucht, damit die fraglos vorhandene fußballerische Qualität konstant zum Erfolg führt. Biss, Geilheit, Galligkeit, der unbedingte Siegeswillen – die Umschreibungen sind vielfältig und führen letztlich zur der Erkenntnis, dass ein Stück 'Drecksackmentalität' fehlt. Oder anders ausgedrückt: Es dürfte ein bisschen mehr Boateng sein.

Nun ist der Frankfurter fraglos ein Extrembeispiel, gleichwohl veranschaulichte er am Freitag nachhaltig seine Wertigkeit. Es ist natürlich ein schlechter Witz, dass Boateng trotz zahlreicher Fouls oder der elfmeterreifen Ringereinlage gegen Vestergaard sogar ohne Gelbe Karte davonkam. Andererseits zeigt es, dass selbst der Schiedsrichter vor diesem Typ die Hosen voll hatte. Die Borussen hatten vielleicht keine Angst vor Boateng, aber gehörigen Respekt.

Auf Gladbacher Seite gibt es niemanden, bei dem ein Gegenspieler weiche Knie bekommt oder der Schiedsrichter lieber mal wegschaut. Selbst ein Hüne wie Vestergaard wird kurzerhand von Boateng umgehauen. Kapitän Stindl, der wenigstens ab und an mal austeilt, kommt auch dann noch irgendwie als ‚lieber Kerl‘ rüber, wenn sein Puls auf 180 ist.

Doch die Borussen sind nicht nur nett und zurückhaltend, sondern verkneifen sich auch jegliches Theater. Als Herrmann von Rebic fast in die Sportinvalidität getreten wurde, war die Entrüstung auf Seiten der Gladbacher eher gemäßigt. Die Frankfurter dagegen machten nach jedem noch so kleinen Foul eines Borussen eine Riesenwelle mit dem Ziel, dadurch von der eigenen Treterei abzulenken.

Das macht übrigens nicht nur Frankfurt so, sondern viele andere auch. So setzt Schalke dieses Stilmittel unter Trainer Tedesco ganz bewusst ein. Ständig wird vehement protestiert, der Schiedsrichter belagert und Karten für die Gegenspieler gefordert, nach Fouls gehadert und gezetert und nahezu jeder gegnerische Kontakt zur theatralischen Einlage genutzt. Ein Raffael läuft dagegen auch nach mehreren Tritten noch weiter, um irgendwie die Aktion zu beenden. Weil er sich nicht hinlegt, ist das für den Schiedsrichter dann oftmals ‚nicht genug‘, um einzugreifen.

Fair Play mag ja ehrenhaft sein – aber gerade in diesen Zeiten kommt man damit nicht sehr weit. Der Fußball in der Bundesliga hat sich gewandelt. Heute zählt für fast alle Mannschaften, zunächst das Spiel des Gegners zu zerstören und erst dann die eigene Spielgestaltung. Hier sei wieder Schalke exemplarisch erwähnt, wo man sich nicht um Attraktivität und Ballbesitz schert, sondern ganz pragmatisch und ergebnisorientiert vorgeht. Dabei ist jedes Mittel recht und die Grenzen des Erlaubten werden gedehnt, soweit es geht.

Das soll nicht heißen, dass die Gladbacher jetzt zu wilden Tretern, Schwalbenkönigen oder ständig protestierenden Voll-Prolls werden sollen. Aber die Liga ist so eng und ausgeglichen, dass es nicht ausreicht, sich auf seine fußballerischen und technischen Qualitäten zu verlassen. Brave Schwiegersöhne sind gern gesehen, aber mit ihnen gewinnt man keine Schlachten. Selbst die übermächtigen Bayern müssen sich in manchen Phasen durchbeißen. Um das zu verdeutlichen, muss man nicht mal Vorzeigekämpfer Arturo Vidal bemühen. Wer sich anschaut, was Robert Lewandowski so veranstaltet, der wird erkennen, dass sich fußballerische Klasse und eine gewisse 'Drecksackmentalität' nicht ausschließen – im Gegenteil.

Es wird Zeit, dass die gegnerischen Trainer Gladbach nicht nur wegen ihrer spielerischen Qualitäten loben, sondern auch davon sprechen müssen, welch »unangenehmer Gegner« das doch ist – in jeder Beziehung.

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