Nach dem Desaster von Dortmund

Die Problem-Borussia

Created by von Marc Basten
Nicht nur Raffael leidet (Foto: Christof Koepsel / Bongarts / Getty Images)

Nicht nur Raffael leidet (Foto: Christof Koepsel / Bongarts / Getty Images)

Nach der 1:6-Abfuhr in Dortmund herrscht eine gewisse Ratlosigkeit vor. Grund zur Panikmache besteht zwar nicht, doch ignorieren darf man die Lage der Problem-Borussia nicht.

Vor zwei Wochen stellten wir im Artikel <link http: torfabrik.de profis borussia datum ungewoehnlich-gewoehnlicher-fussball.html external-link-new-window external link in new>»Ungewöhnlich gewöhnlicher Fußball« die Frage, für welchen Stil die Fohlenelf 2017/18 eigentlich steht und welche Philosophie sie verfolgt. Drei Pflichtspiele später sind wir der Lösung keinen Schritt näher gekommen. Im Gegenteil - Gladbach entwickelt sich zur Problem-Borussia.

Natürlich neigt man angesichts der Demütigung von Dortmund dazu, allein aufgrund des Frustfaktors in eine Sinnkrise zu verfallen. Doch auch mit etwas Abstand zum Debakel im Westfalenstadion bleibt festzuhalten, dass es mit einem einfachen ›Mund abwischen, weiter machen‹ nicht getan ist. Die bisherigen Leistungen waren viel zu unbeständig, als dass das 1:6 als reiner Betriebsunfall abgehakt werden könnte.

Oberflächlich gesehen sind die vier Punkte aus den drei Partien in der englischen Woche in Ordnung, schließlich musste man auswärts bei den Champions-League-Teilnehmern aus Leipzig und Dortmund ran. Doch bei genauerem Hinsehen bleibt nur die zweite Halbzeit in Leipzig übrig, bei der die Mannschaft überzeugend auftrat. Der erste Durchgang bei RB war über weite Strecken ähnlich konfus wie die Partie in Dortmund und beim Heimspiel gegen Stuttgart überdeckte nur das positive Resultat eine ganze Reihe von Unzulänglichkeiten.

Der Trend stimmt bedenklich, weil sich Borussia immer weiter von einer Spielidentität entfernt. Es stehen Individualisten auf dem Platz, die zwar jeder für sich kicken können, aber als Team nur bedingt funktionieren. Vieles basiert auf Einzel- oder Zufallsaktionen. Gemeinschaftlich tut man sich schwer - und zwar ganz egal, wie der Gegner auftritt.

Presst der hoch und aggressiv, geraten die Borussen sofort in Bedrängnis. Sie wackeln hinten und haben große Schwierigkeiten, die Pressinglinie konstruktiv zu überspielen und Ballkontrolle zu erlangen. Macht der Gegner, wie Köln, Augsburg und Stuttgart, nach Rückstand mehr nach vorne, lassen die Gladbacher sehr viele und sehr einfache Abschlüsse zu.

Gegen qualitativ hochwertige Teams wie Leipzig und Dortmund werden die Probleme beim gemeinsamen Verteidigen besonders offensichtlich. Bei RB kassierte Borussia vor der Pause zwei Tore aus dem Spiel heraus, in Dortmund sogar drei. Das ist deutlich zu viel und weit von der Stabilität entfernt, die es in den Anfangsmonaten unter Dieter Hecking gab.

Wenn sich ein Team hinten verschanzt - wie Frankfurt nach zwanzig Minuten oder der VfB bis zum Rückstand - fehlen die Lösungsansätze. Der eigene Ballbesitz ist meist bieder und ohne Tempo, so dass die gegnerische Abwehr es nicht allzu schwer hat. Vom teilweise begeisternd enthemmten Angriffsfußball in den Heimspielen aus den ersten zehn Schubert-Monaten ist kaum etwas übrig, obwohl man fast in identischer Besetzung spielt.

Dazu kommt die Körpersprache der Spieler, die zwischen Gleichmut und Temperamentlosigkeit pendelt. Man hat nicht das Gefühl, dass da eine Mannschaft auf den Platz kommt, die dem Gegner alleine durch ihr Auftreten schon zeigt, wer Herr im Hause ist. Das wirkt derart brav, als ob es nur darum geht, in der Fair-Play-Wertung gut dazustehen.

Frappierend war das in Dortmund, wo man nahezu körperlos agierte. Was Teams wie Hoffenheim und Leipzig, aber auch der BVB pflegen (Gegenpressing, direkte Ballrückeroberung oder zumindest den gegnerischen Aufbau mit konsequenten Zweikämpfen und taktischen Fouls zu unterbrechen), geht den Gladbachern ab. Gerade diese kleinen ›Störfouls‹, die zu wenig sind, um eine persönliche Strafe nach sich zu ziehen, aber ausreichen, den Rhythmus des Gegners zu beeinträchtigen, beherrschen die Borussen nicht.

Sicher, es ist immer noch früh in der Saison und man muss es der Mannschaft zugestehen, dass nicht alles rund läuft und es Ausschläge gibt. Doch die Anzahl der Baustellen wächst eher an, anstatt dass sie geschlossen werden. Und auch wenn es deutlich überzogen wäre, eine Trainerdiskussion anzuleiern, muss auch Dieter Hecking einbezogen werden bei der Ursachenfindung, warum die Mannschaft derzeit wie ein wandelndes Fragezeichen daherkommt.

Hecking erklärte vor dem Spiel in Dortmund in aller Deutlichkeit, dass es nicht funktionieren werde, wenn man sich beim BVB hinten reinstellt. Er sprach von Ballbesitz und davon, den Gegner zu beschäftigen. Doch genau das Gegenteil trat ein. Nachher bekräftigte Hecking, dass es nicht sein Plan war, so tief zu stehen. Was zu der Frage führt, warum die Mannschaft die Vorgaben nicht umgesetzt hat. Wollte sie es nicht? Das ist kaum anzunehmen. Oder konnte sie nicht? Dann hat Hecking die Fähigkeiten seines Teams und das, was man sich erarbeitet hat, falsch eingeschätzt. Das wiederum würde die Problematik der unklaren Spielphilosophie noch unterstreichen.

Es wäre ganz gewiss falsch, unter dem Eindruck des 1:6 in Dortmund in Panik zu verfallen und alles schlecht zu machen. Besonnenheit ist oberste Borussenpflicht. Gleichzeitig müssen jetzt alle Sinne aufs Äußerste geschärft sein, damit man sich nicht weiter einlullen lässt. Es muss Feuer, Aggressivität und eine klare Linie rein, so wie in Leipzig nach der Pause. Und zwar schon am Samstag gegen Hannover. Eine weitere blutarme Vorstellung kann sich Borussia nicht erlauben.

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