Eberls Wutrede nach dem Sieg gegen den HSV

»Das ist wirklich pervers«

Created by von Marc Basten, Nadine Basten und Jan van Leeuwen
Die Fetzen flogen (Foto: Dean Mouhtaropoulos / Bongarts / Getty Images)

Die Fetzen flogen (Foto: Dean Mouhtaropoulos / Bongarts / Getty Images)

Borussia Mönchengladbach biegt ein kompliziertes Spiel gegen den Hamburger SV zu einem 3:1-Heimsieg um und geht mit 28 Punkten in die Winterpause. Dennoch herrschte dicke Luft im Borussia-Park.

Der Schlusspfiff im Borussia-Park war schon längst ertönt und damit der Strich unter die Vorrunde gemacht, doch Max Eberl stand noch heftig unter Strom. Der Sportdirektor war schon während des Spiels wutentbrannt aufgesprungen und hatte den ›Scheibenwischer‹ in Richtung Publikum gemacht. In der Mixed-Zone legte er nach und ließ seinem Frust über die lautstarken Unmutskundgebungen freien Lauf.

»Ich finde es eine bodenlose Frechheit«, polterte Eberl. Im Verlauf der zweiten Halbzeit, als das Spiel gewaltig auf der Kippe stand, prägten Gemurre und Gepfeife die Akustik im Stadion. »Hier wird ehrlich Fußball gespielt, hier wird mit jungen Spielern gearbeitet - heute waren zwei 18-Jährige im Mittelfeld. Und dann wird gepfiffen, wenn wir zurückspielen bei einem Spielstand von 1:1. Und da rede ich nicht von der Nordkurve, sondern von den Zuschauern, die ab und zu mal Fußball gucken wollen. Es geht mir so auf den Sack. Die da gepfiffen haben, haben wahrscheinlich die zweite Liga und alle Torturen nicht miterlebt. Die kommen erst jetzt im Erfolg, aber dann können sie auch gleich zu Hause bleiben oder zu Bayern oder PSG gehen.«

»Wenn die Mannschaft sich aufgibt oder schlecht spielt, wie in Freiburg, kann ich Kritik verstehen und der stellen wir uns auch. Aber ich kann nicht damit leben, dass wir selbst bei einem Spiel wie heute ausgepfiffen werden, das wir 3:1 gewinnen. Das ist eine Frechheit der Mannschaft und dem Klub gegenüber, der sich hier acht Jahre lang den Arsch aufreißt, damit wir mal gegen Barcelona spielen dürfen.«

»Die erhöhte Erwartungshaltung kann uns erschlagen«

»Vielleicht müssten wir sie mal fragen, was sie denn eigentlich von uns wollen. Die Konsequenz wäre, dass wir den Ball blind nach vorne schlagen und dann wird auch gepfiffen. Die sollen uns einfach Fußball spielen lassen. Ich finde es enttäuschend, weil sie mit ihren Pfiffen den Jungs nicht helfen. Unsere Spieler sind keine Roboter und die erhöhte Erwartungshaltung kann uns erschlagen. Ich spüre, dass es hier in die falsche Richtung geht. Wir haben 28 Punkte, sind auf dem vierten Platz. Und dann sowas. Das ist wirklich pervers.«

Dass es eine derartige Wutrede des Sportdirektors geben würde, hätte in der Anfangsphase der Partie wohl niemand für möglich gehalten. Denn da stand der Borussia-Park kollektiv Kopf und feierte die Mannschaft. »Wir kommen überragend ins Spiel«, sagte Dieter Hecking. Sein Team überrannte den HSV förmlich. »Gladbach hat uns richtig durcheinandergewirbelt«, bekannte Gäste-Coach Markus Gisdol. Hazard erzielte das frühe 1:0 (Hecking: »Das war toll rausgespielt«), zuvor hatte Reece Oxford genauso Pech mit einem Aluminiumtreffer, wie sein Kollege Michael Cuisance im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit.

Cuisance »kann dich zur Weißglut bringen«

Dieter Hecking hatte sich mit der Nominierung der beiden 18-Jährigen auf der Doppel-Sechs für die Hochrisikovariante entschieden. »Ginter wieder vorzuschieben, wäre die naheliegende Option gewesen«, so Hecking. »Aber ich wollte Ginter und Vestergaard nicht wieder auseinanderreißen.« Die Überlegung ging auf, denn die Youngster bestanden die Feuertaufe. »Sie haben ein sensationell gutes Spiel gemacht«, lobte Hecking. Auch wenn Cuisance wieder ›seine Momente‹ hatte. »Er kann dich natürlich auch zur Weißglut bringen«, gab der Trainer zu. »Was der Junge veranstaltet, der noch A-Jugend spielen könnte, mit welchem Risiko er zum Teil spielt. Aber das zeichnet diesen Spielertypen natürlich generell aus. Wenn er mal ein Jahr weiter ist, dann haben wir richtig Spaß an ihm.«

Dass die Mannschaft nach der furiosen Anfangsphase den Fuß vom Gas nahm, war durchaus verständlich. »Du kannst nicht 90 Minuten nach vorne rennen«, sagte Max Eberl. Doch weil eben zweimal Aluminium-Pech hinzukam und ein möglicher Elfmeter (Foul an Vestergaard) nicht gegeben wurde, blieb der HSV im Spiel. »Und was dann passiert, kennt man ja im Fußball«, sagte Hecking. »Thorgan Hazard muss Anfang der zweiten Halbzeit das 2:0 machen und im Gegenzug bekommst du das 1:1«. Nico Elvedi war in dieser Szene entscheidend beteiligt. Kurz zuvor hatte er signalisiert, dass er wegen eines Pferdekusses ausgewechselt werden müsse.

»Das wollen wir nicht, aber es passiert immer mal wieder«

»Das sind Rückschläge, die du deiner Mannschaft nicht wünschst«, sagte Hecking. »Aber wir waren in der Phase auch zu passiv. Ich kanns nicht erklären, warum das bei uns immer wieder reinkommt. Wir stehen dann zu tief, kriegen vorne keinen richtigen Druck auf den Ball und rücken nicht mehr entschlossen genug nach. Das wollen wir nicht, aber es passiert immer mal wieder. Das zeigt eben auch, dass wir in einer Entwicklung sind und das immer wieder ansprechen werden.«

Das war die Phase, in dem sich die Stimmung im Stadion wandelte. Ohne jegliches Gespür für die Situation wurde gepfiffen und gemeckert, selbst Cuisance wurde nach einem Rückpass niedergemacht. Dass der dann in seiner Verunsicherung sofort einen Fehlpass folgen ließ, war wenig verwunderlich. »Eigentlich hatten wir Gladbach soweit«, sagte Markus Gisdol. Doch ein Fehler im Aufbau der Hamburger und eine blitzgescheite Umschaltaktion ließ das Spiel wieder in Richtung der Borussia kippen.

»Das war dann herausragend, auch wie die Mannschaft nachlegt und das 3:1 macht«, freute sich Hecking. Der Raffael-Doppelpack innerhalb von fünf Minuten entschied das Spiel und ließ auch die Nörgler auf der Tribüne verstummen. »Manchmal wundere ich mich, was von uns alles erwartet wird«, sagte Hecking. »Wenn wir alle dabei hätten, okay. Aber wenn man durch dieses Verletzungspech ohne neun vermeintliche Stammspieler die Vorrunde mit 28 Punkten beendet, kann ich meiner Mannschaft nur ein Riesenkompliment aussprechen.«

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