Bestandsaufnahme vor dem Start

Bestandsaufnahme: Gute Ansätze, viele Unwägbarkeiten

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Daniel Farke gibt bei Borussia die Richtung vor (Foto: Norbert Jansen - Fohlenfoto)

Wo steht Borussia Mönchengladbach vor dem Pflichtspielauftakt? Eine Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Es wurden einige Dinge auf den richtigen Weg gebracht, doch es gibt noch viele Unwägbarkeiten.

Die Vorbereitungszeit neigt sich dem Ende zu und der Pflichtspielauftakt im Pokal steht für die Fohlenelf an. Diese Pflichtaufgabe wird, bei allem Respekt vor dem Gegner, kein Gradmesser sein. Eine Woche später zum Bundesligastart gegen Hoffenheim sieht das schon anders aus. Doch wie ist der aktuelle Stand bei Borussia? Eine Bestandsaufnahme:

Zu- und Abgänge

Borussia hat aus dem Spieltagskader der letzten Saison mit Laszlo Benes, Matthias Ginter und Breel Embolo drei Profis abgegeben. Benés wurde durch den talentierten Oscar Fraulo ersetzt und da der Slowake ohnehin nur eine Nebenrolle eingenommen hat, ist hier ein gleichwertiger Austausch ohne Qualitätsverlust und mit viel Perspektive erfolgt. Den Kaderplatz von Ginter hat Ko Itakura übernommen. Der Japaner hat sich schnell zurechtgefunden und in die Gruppe einsortiert. Er überzeugt mit Ruhe und Übersicht am Ball, fiel aber in den zahlreichen Testspielen auch mit der einen oder anderen Unkonzentriertheit auf.

Er wird sich darauf einstellen müssen, dass in der ersten Liga mehr Handlungsschnelligkeit gefragt ist, als eine Klasse tiefer. Itakura verfügt nicht über die Erfahrung eines Matthias Ginter, kann dafür aber sowohl in der Innenverteidigung, als auch im defensiven Mittelfeld auflaufen. Bislang hat er im Wechsel auf beiden Positionen gespielt, so dass noch keine Tendenz erkennbar ist, in welcher Rolle Itakura hauptsächlich eingeplant wird. Nach den Eindrücken der Vorbereitung hat sich Borussia mit Itakura im Vergleich zu Ginter jedenfalls nicht verschlechtert.

Dagegen wurde der Abgang von Breel Embolo bislang nicht aufgefangen. Dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, ist unzweifelhaft. Auch wenn mit dem Transfererlös für Embolo auch noch andere Vorhaben finanziert werden sollen, benötigt Borussia zwingend einen Offensivspieler - und zwar mehr als nur ein Nachwuchstalent. Stand jetzt braucht man mindestens einen gestandenen Angreifer, der auch von der Bank kommend liefert und bestenfalls noch Qualitäten mitbringt, die es im aktuellen Kader nicht oder nur wenig gibt.

Der aktuelle Kader

Es muss und wird noch Veränderungen geben. Ein weiterer Offensivspieler als Embolo-Ersatz auf Zugangsseite ist das Minimum - auch ein Leihgeschäft wäre denkbar. Doch selbst dann ist der Kader in Teilbereichen noch ‘auf Kante genäht’. Während es im Mittelfeld eng wird, wenn Manu Koné wieder eingreift, ist die Personaldecke vorne dünn. Zu Thuram, Hofmann und Plea gibt es mit Stindl nur eine ernsthafte Alternative. Erschwerend kommt hinzu, dass bei den drei offensiven Basisspielern längst nicht klar ist, ob sie im September noch bei Borussia unter Vertrag stehen. Möglicherweise werden auch die Personalien Sommer oder Bensebaini noch akut. Bis zur Schließung des Transferfensters könnte es noch richtig heiß hergehen und es wird wichtig sein, dass Roland Virkus und sein Team für alle Fälle gewappnet sind.

Der neue Trainer

Die größte Veränderung bei Borussia hat auf der Trainerposition stattgefunden. Daniel Farke hat einen guten Einstand hingelegt, indem er sich authentisch, kommunikativ und offen präsentiert. In der Zusammenarbeit mit der Mannschaft setzt der neue Coach ebenfalls auf Kommunikation. Er möchte die Spieler für eine gemeinsame Idee gewinnen und überzeugen. Wie zu hören ist, rennt Farke mit dieser Art offene Türen ein. Wobei man das schon relativieren sollte, denn auch von Adi Hütter wurde geschwärmt, ehe die ganze Sache zu einem Rohrkrepierer wurde.

Dennoch scheint Daniel Farke in seiner Herangehensweise einen guten Weg eingeschlagen zu haben. Wie nachhaltig der ist, wird sich zeigen. Der Fußball, den sich der 45-Jährige für Borussia vorstellt, ist derweil ziemlich bodenständig und weit weg von dem ganzen - teilweise auch völlig unsinnigen - Hype um den Rose- oder Hütter-Fußball der Vorjahre. Farke wird als ‘Ballbesitz-Trainer’ charakterisiert, doch es hat sich gezeigt, dass er dieses Image nicht krampfhaft durchprügeln und Ballbesitzfußball nicht zum Selbstzweck spielen lässt.

Vielmehr haben gerade die Testspiele gegen stärkere Gegner wie Lüttich, Bilbao oder zuletzt San Sebastian gezeigt, dass durchaus auch eine abwartende Spielweise zum Repertoire gehören wird. Farke hat vom System her in den Vorbereitungsspielen überhaupt nicht experimentiert, sondern stets in einem 4-2-3-1 mit Ball und 4-4-2 gegen den Ball spielen lassen. Die Positionen wurden situativ flexibel interpretiert und mit unterschiedlichen Typen besetzt, die Grundausrichtung blieb gleich. Im Aufbau ließ sich ein Sechser zwischen die beiden Innenverteidiger fallen, die das Feld breit machten, während die Außenverteidiger aufrückten.

In den Partien gegen die Drittligisten agierten die Außenverteidiger extrem hoch, was dazu führte, dass es in der Defensive Lücken gab und die unterklassigen Gegner einige Male sehr einfach zu Torchancen kamen. Gegen die Erstligisten aus Belgien und Spanien sah das jedoch anders aus - hier lag das Hauptaugenmerk der Außenverteidiger tatsächlich auf dem Verteidigen und sie probierten sich nicht permanent als Flügelstürmer aus. So standen die Borussen - vor allem gegen San Sebastian gut zu beobachten - sehr kompakt und deutlich stabiler, als in vielen Partien der Vorsaison.

Bei eigenem Ballbesitz werden spielerische Lösungen bevorzugt und gegen tiefer stehende Gegner gibt es auch schon mal lange Passfolgen auf der Suche nach der Lücke. Geduld gepaart mit Zielstrebigkeit, tiefen Läufen und direkten Pässen prägten in den Testspielen oftmals das Gladbacher Spiel. Aber auch Chippässe hinter die Kette, Crossbälle von hinten heraus oder lange Schläge (auffällig hier Marvin Friedrich) in die Spitze waren zu sehen. Bislang macht es den Eindruck, als ob Farke pragmatischen Fußball sehen will und kein Problem damit hat, den Stil je nach Stärken und Schwächen des Gegners variabel zu halten. Dass er nicht auf Biegen und Brechen eine ganz bestimmte Spielweise durchziehen will, ist sehr positiv und neben der Ansprache der bislang offensichtlichste Unterschied zu seinem Vorgänger.

Zum Ende der Vorbereitung kann man zusammenfassen, dass Daniel Farke seine Hausaufgaben gemacht und in der kurzen und intensiven Zeit vieles auf den Weg gebracht hat. Wie es um die viel zitierte Resilienz bestellt ist, wird sich bei Gegenwind zeigen. Dass es den geben wird, erscheint fast unumgänglich, alleine weil das Anspruchsdenken bei den Anhängern der Borussia ungeachtet des Abstiegskampfs im Vorjahr sehr ausgeprägt ist. Deshalb ist es nicht unbedingt nur positiv, wenn allenthalben von einer Euphorie um die ‘neue’ Borussia und Daniel Farke gesprochen wird. Vor allem die Unwägbarkeiten bei der endgültigen Kaderbesetzung - inklusive möglicher Konstellationen, dass Spieler mit auslaufenden Verträgen in die Saison gehen - könnten noch für Unruhe und Probleme sorgen.

 

von Marc Basten

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