Der Sportdirektor ge- und betroffen

So kann Eberl nur verlieren

Created by von Marc Basten
Max Eberl hat Respekt - und Vertrauen - verdient (Foto: Sascha Steinbach / Bongarts / Getty Images)

Respekt hat sich Max Eberl nach vielen erfolgreichen Jahren verdient. Dennoch fehlt bei vielen das Vertrauen in seine Arbeit (Foto: Sascha Steinbach / Bongarts / Getty Images)

Borussia Mönchengladbach durchlebt in der Bundesliga eine handfeste Krise. Die Begleiterscheinungen sind immens und es zeigt sich, dass die Erfolge der vergangenen Jahre einiges verändert haben. Die gewachsene Identität eines Vereins hat sich gewandelt – und das nicht nur positiv, wie die aktuelle Situation zeigt.

Es war schon ein wenig verwunderlich, dass Max Eberl nach dem Spiel gegen Manchester derart der Kragen platzte. Die Pfiffe bei den Auswechslungen und die fehlende Anerkennung für das vorzeitige Sichern des 3. Platzes in der Hammergruppe waren allerdings nur die letzten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten. Schon vorher hatte sich beim Sportdirektor einiges aufgestaut.

Eine Mischung aus Ärger, Trotz und Enttäuschung entluden sich. Die letzten ‚Krisen-Wochen‘ haben ihre Spuren hinterlassen und auch etwas am Bild gerüttelt, das sich Max Eberl vom Gladbacher Umfeld und den Anhängern gemacht hat. Die Vehemenz, mit der André Schubert angegriffen wurde, hatte Eberl genauso erschreckt wie gegen ihn selbst gerichtete Verunglimpfungen.

Eberl sprach in seiner ‚Wutrede‘ in einem Nebensatz davon, in den letzten Tagen viel, möglicherweise zu viel, gelesen zu haben. Da der Boulevard und auch die sonstigen begleitenden Medien allenfalls branchenüblich, aber eigentlich eher verhalten berichtet haben, wird Eberl wohl vornehmlich über die Kommentare der ‚Fans‘ in den sozialen Medien gestolpert sein.

Gewisse Auswüchse auf derartigen Plattformen sind mittlerweile ein anerkanntes Gesellschaftsproblem und dürfen keinesfalls kleingeredet werden. Andererseits darf man sich davon auch nicht zu viel annehmen. Einfältige Pöbeleien oder gezielte Provokationen sollten ignoriert werden, ansonsten spielt man diesen Leuten nur in die Karten.

In der aktuellen Gemengelage um Borussia finden sich allerdings auch teilweise sehr harsche Kommentare, die nicht unbedingt nur von den üblichen ‚Schreihälsen‘ kommen. Und die spiegeln in gewisser Weise wider, wie sich Umfeld und Identität von Borussia Mönchengladbach in den letzten Jahren verändert haben.

Die ausgesprochene Besonnenheit und der Realitätssinn der Anhänger, die Borussia durch die ‚Nullerjahre‘ begleitet haben, lösen sich immer weiter auf. Das ist eine Generationsfrage: Die 14.000 Borussen, die sich im Dezember 1999 in der Zweiten Liga auf dem Bökelberg beim 0:0 gegen Fortuna Köln 90 Minuten nassregnen ließen, werden auch heute auf ihrem überdachten Platz im Borussia-Park geduldig den Weg mitgehen. Weil sie wissen, was wirklich harte Zeiten sind.

Aber sie bilden halt nicht mehr die Basis des Publikums, sondern es sind viele andere nachgewachsen. Viele, die zwischen 2001 und 2010 dazukamen und geblieben sind, mussten eine gewisse Demut und Leidensfähigkeit entwickeln. Doch seit 2011 hat sich das radikal gewandelt. Von der Relegation in die Champions League hieß die Erfolgsgeschichte, die es sogar ins Kino schaffte. In ihrem Sog hat sich die Fanlandschaft verändert. Borussia wurde plötzlich fürs Event-Publikum interessant, gleichzeitig wandelte sich die Kultur in der Kurve.

Heute, inmitten einer handfesten sportlichen Krise und drei Tage nach dem Appell von Max Eberl an die Fans, zeigt die Nordkurve beim Heimspiel gegen Hoffenheim eine Choreografie. Was im ersten Moment wie ein Statement des Verstehens und des Zusammenhalts wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als etwas völlig anderes. Da feiert sich eine Ultra-Gruppierung selbst für ihr 5-Jähriges (!) Bestehen. Was das mit Borussia und der aktuellen Situation zu tun hat? Nun ja.

Die einen feiern sich und ihre Fankultur, den anderen geht’s ums Ambiente in der Loge. Wieder andere sehen sich als Kunden, die für ihr teuer bezahltes Ticket Spektakel und natürlich mindestens drei Punkte garantiert haben wollen. Und wehe wenn nicht – dann haut der Wutbürger aber mal einen raus.

Doch es sind nicht nur die neu gewachsenen Gruppierungen, die Kunden und Eventbesucher, die das Bild verändert haben. Auch die Fans, die 2009 demütig noch jede Zufallschance bejubelt haben, sehen ihren Verein sieben Jahre später mit anderen Augen. Der zunächst noch mit offenem Mund bestaunte und als unfassbar gehaltene Aufstieg in die obere Tabellenhälfte und ins internationale Geschäft wird mittlerweile als Normalität wahrgenommen. Der Rausch der letzten Jahre hat den einst so ausgeprägten Realitätssinn deutlich – und vielleicht auch ein stückweit verständlich – vernebelt. Wer sich einmal an ein gewisses Niveau gewöhnt hat, für den ist schon Stillstand ein Rückschritt. Deshalb ist das Ziel Einstelligkeit trotz aller Berechtigung so schwer zu vermitteln und eine Krise mit Platz 13 für viele völlig inakzeptabel – selbst wenn sie es besser wissen müssten.

Zum modernen Fußball gehört das extreme Schwarz-weiß-Denken, das Max Eberl moniert. Die Grauzonen werden immer weniger, leider auch in Mönchengladbach. Borussia hat den Fans seit 2011 so viele fantastische Momente beschert, dass man damit selbst fünf Jahre Mittelmaß aufwiegen könnte und es wäre immer noch ein sensationelles Jahrzehnt. Aber drei stockende Monate reichen schon aus, dass man den handelnden Personen das Vertrauen entziehen will und sie persönlich attackiert.

Genau das ist der Punkt, der Max Eberl am meisten trifft. Dass er – auch für seine Entscheidung pro André Schubert – einen so geringen Vertrauensvorschuss erhält. Das ist nicht nur demotivierend, sondern könnte Eberl die ‚Herzensangelegenheit‘ Borussia richtig madigmachen.

Eberl weiß genau, dass der Entwicklung in Mönchengladbach natürliche Grenzen gesetzt sind. Es kann nicht, wie in den letzten Jahren, ständig weiter nach oben gehen. Doch offenbar gibt es viele, die das allen Ernstes erwarten. Falls das wirklich die Mehrheit der Anhänger so sieht, sollte sich Eberl im eigenen Interesse schnell neu orientieren. Denn dann kann er nur verlieren.

Nur mit einer wirklichen Rückendeckung für die sportliche Leitung, auch während einer schwächeren Periode wie der aktuellen, kann es funktionieren. Die nächsten Jahre in Gladbach bedeuten viel Arbeit und es bedarf einer Menge Geschick und auch Glück, die Mannschaft in der Nähe der internationalen Ränge zu etablieren. Und um nichts anderes geht es.

Angesichts der jüngsten Erfahrungen dürfte Max Eberl ins Grübeln geraten. Doch vielleicht besinnen sich die Anhänger auf breiter Ebene und zeigen das einstmals so gelobte Gespür für die Situation. Um ihrem Sportdirektor, aber auch sich selbst zu beweisen, dass Borussenfans trotz aller Veränderungen immer noch anders als die anderen sind.

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