Kritische Bestandsaufnahme

Wie der Profifußball sich selbst abschafft

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Irgendwann reicht es (Foto: TORfabrik.de)

Immer mehr Wettbewerbe, immer höhere Belastung: Der Profifußball gefährdet durch Überfrachtung, Ungleichheit und wirtschaftliche Kurzsichtigkeit seine eigene Zukunft – und auch die Fans wenden sich ab.

In den Vorstandsetagen der Topklubs und Verbände wird weiter fröhlich an der Expansionsschraube gedreht. Mehr Teams bei der WM, eine aufgeblasene Klub-WM, immer neue Wettbewerbe und Terminkollisionen, die schon längst aus dem Ruder gelaufen sind. Doch hinter den glänzenden Fassaden kriselt es heftig – sportlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Vor allem stellt sich die Frage: Wohin soll das alles noch führen?

Der letzte Sommer war sinnbildlich. Kaum war die alte Saison beendet, da stand schon die Club-WM mit 32 Teams auf dem Programm. Drei Tage nach Abpfiff der nationalen Meisterschaften reisten die ersten Spieler wieder ins Trainingslager oder direkt zum nächsten Turnier. Die Stimmen der Kritik werden dabei immer lauter – und stammen längst aus dem Epizentrum des Fußballs.

Müdigkeit, Übersättigung, Verlust an Identifikation

»Die Club-WM ist die schlechteste Idee, die je im Fußball umgesetzt wurde«, polterte Jürgen Klopp jüngst – und wird nicht müde, auf die Gefahren hinzuweisen: »Wir hatten letztes Jahr Copa América und Europameisterschaft, jetzt die Club-WM, und nächstes Jahr steht wieder die WM an. Für die Spieler bleibt keine echte Erholungsphase – weder körperlich noch mental. Ein NBA-Profi hat vier Monate Pause pro Jahr. Virgil van Dijk hatte das in seiner gesamten Karriere nicht.« Auch Hansi Flick, längst nicht als Revoluzzer bekannt, findet klare Worte: »FIFA muss die Spieler schützen. Wir wollen alle Athleten in Topform sehen, deshalb sollte die Zahl der Spiele reduziert werden.«

Spielerberater, Trainer und selbst Verbände schlagen Alarm. Laut dem aktuellen Bericht der Spielervereinigung FIFPRO befanden sich in der Saison 2023/24 weltweit mehr als die Hälfte aller Profis mindestens 55 Mal im Spieltagskader – etliche davon sogar bei 70 Spielen oder mehr. Der spanische Nationalspieler Dani Carvajal bringt es auf den Punkt: »Mit über 72 Spielen in einer Saison ist es unmöglich, konstant bei 100 Prozent zu sein. Die Qualität sinkt, und wir leiden – als Spieler, als Familien, als Fans.«

Der Preis der Expansion: Kommerz vor Gesundheit

Die Aufstockung der Weltmeisterschaft von 32 auf 48 Teams ab 2026 bringt zwar mehr Beteiligte, aber auch einen weiteren Marathon an Spielen und Reisen. Schon werden Stimmen laut, das Turnier noch weiter auf 64 Teams auszuweiten – mit 128 Partien, organisatorischem Overkill und massiven Umweltauswirkungen. Eigentlich sollte dadurch »der globale Fußball gestärkt« werden. Die Realität: Gerade für die kleinen Fußballnationen bleiben die sportlichen und wirtschaftlichen Zugewinne bescheiden, während der ohnehin reiche Teil des Marktes den Rahm abschöpft.

Das betrifft insbesondere die Klub-WM. Die enormen Summen, die dort ausgeschüttet werden, kommen nur einem kleinen elitären Kreis zugute. Die meisten anderen Klubs – national wie international – schauen in die Röhre. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. »Die prominenteste Ursache für das Auseinanderdriften ist das Geld«, meint Journalist Joel Bland. »Die kleineren Klubs werden finanziell immer weiter abgehängt, die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Die Fans fragen sich zurecht, wie diese Lücke je wieder zu schließen sein soll.«

Zuschauer auf Rückzug – Generation Z im Fußball-Overkill

Nicht nur Spieler und Trainer, auch das Publikum ist zunehmend überfordert. Die Club-WM und der Gold Cup lockten zuletzt mit leeren Rängen. Viele Partien erleben Eintrittspreise, die in letzter Minute sinken, damit wenigstens ein paar Zuschauer in die Stadien strömen. Sättigung macht sich breit: Es gibt kaum noch einen Tag ohne Fußball – aber kaum noch ein Spiel, das heraussticht.

Insbesondere die jüngere Generation wächst in einer Welt auf, in der Ereignisse in kurzen Highlights und Häppchen konsumiert werden. Linear-TV bleibt zwar für viele in Deutschland noch relevant, dennoch gewinnen digitale Formate, Second-Screen-Optionen und snackable Content immer mehr Bedeutung. Ganze Fußballspiele mit 90 Minuten Spieldauer wirken da zunehmend aus der Zeit gefallen – besonders, weil abseits der Top-Partien meist wenig Spektakuläres passiert und Geduld gefragt ist.

Ist der Point of No Return schon überschritten?

Die Wahrheit ist unbequem: Die riesigen Summen, die mittlerweile im Geschäft fließen, schaffen eigene Zwänge – und verhindern echte Reformen von innen heraus. Investoren wollen sich ihre Rendite sichern, die Klubs sind finanziell voneinander abhängig, das System dreht sich immer schneller. Doch jede Spirale hat irgendwann ein Ende. Kippt die Balance, weil Spieler sich häufiger schwer verletzen, das sportliche Niveau sinkt und die Fans – übersättigt und gelangweilt – in Scharen abwandern, droht ein Scherbenhaufen. Investoren könnten das Interesse verlieren und ihr Geld in attraktivere Märkte umleiten.

Es bleibt die Frage: Wann wacht der Fußball auf, bevor es zu spät ist? Wer jetzt nicht gegensteuert, wird erleben, wie der Fußball am eigenen Erfolg erstickt – und seine größte Stärke verliert: die Leidenschaft und Identifikation der Menschen überall auf der Welt.

 

von Redaktion TORfabrik.de


 

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