Einwurf nach der Absage von Lucien Favre

Von Aufbruchstimmung ist Borussia weit entfernt

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Roland Virkus muss jetzt Fakten schaffen (Foto: Norbert Jansen - Fohlenfoto)

Dass Lucien Favre nicht der neue Trainer von Borussia Mönchengladbach wird, kam überraschend. Das ist ein erneuter Rückschlag für den Klub, der von Aufbruchstimmung weit entfernt ist. Auch in der Außendarstellung hapert es weiterhin gewaltig.

Lucien Favre wird nicht Trainer bei Borussia. Diese Information, die Sportdirektor Roland Virkus bei der Mitgliederversammlung eher beiläufig weitergab, hat die Borussen-Gemeinde heftig erschüttert. Viele hatten in Favre genau den Trainer gesehen, der das wackelige Gebilde in Gladbach wieder auf solide Füße stellt und der in der Lage sein wird, den dringend notwendigen Neuaufbau in die Praxis umzusetzen.

Nach den vielen trostlosen Wochen und Monaten zuletzt war die Aussicht auf Lucien Favre mehr als nur ein Hoffnungsschimmer. Doch seit Montagabend ist all das schlagartig verpufft und das kleine Pflänzchen Aufbruchstimmung hat sich in teilweise nackte Panik gewandelt. Kein Trainer, keine Zugänge und keine Abgänge - Borussia tritt auf der Stelle - und die befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Abgrund.

Die Deutungshoheit konzeptlos aus der Hand gegeben

Als wäre die für alle unerwartete Absage von Favre nicht schon hart genug, so hat Borussia das Ganze auch noch auf eine schlechte Art und Weise kommuniziert. Dass sich das Thema Favre seit Wochen hochgeschaukelt hat, dürfte an niemandem vorbei gegangen sein. So war es doch selbstverständlich, dass auf der Mitgliederversammlung alle auf konkrete Informationen warteten. Selbst wenn es letztlich nicht das war, was der Vorstand und der größte Teil der Mitglieder hören wollten, so war es dennoch völlig unnötig, die Deutungshoheit bei dieser Sache derart konzeptlos aus der Hand zu geben.

Was hat Roland Virkus daran gehindert, bei seinem sorgfältig gescripteten Vortrag das Thema Favre anzusprechen? ‘Natürlich haben wir uns auch intensiv mit Lucien Favre beschäftigt, aber es ist zu keiner Einigung gekommen. Wie immer werden wir uns zu Einzelheiten dieser vertraulichen Gespräche nicht äußern und uns auch nicht an Spekulationen beteiligen. Stand der Trainersuche ist, dass wir mit mehreren Kandidaten in einem konstruktiven Austausch stehen und optimistisch sind, alsbald etwas verkünden zu können’.

Virkus sagte erst nichts - und dann mit wenigen Worten viel zu viel

So oder ähnlich hätte man das Thema in offiziellen Teil abhandeln können. Doch Virkus sagte erst nichts - und dann mit wenigen Worten viel zu viel. Nun war raus, dass Borussia »alles getan« hat, um Favre zu überzeugen, lange hingehalten und schließlich düpiert wurde. Gleichzeitig werden damit alle weiteren Trainerkandidaten als ‘B-Lösung’ gelabelt. Das wird den ohnehin höchst komplizierten Einstieg des neuen Mannes weiter erschweren. Den Vertrauensvorschuss, der Lucien Favre bei den Anhängern gewährt worden wäre, dürfte ein anderer Trainer kaum bekommen. Aber als ‘Trainer 1B’ bekommt er noch ein paar unnötige Gewichte zusätzlich in den Rucksack gepackt.

Bezüglich Favre bleibt noch die ungeklärte Frage, warum er kurz vor knapp doch noch einen Rückzieher gemacht hat. Die Version, dass ihm nach wochenlangen Verhandlungen plötzlich aufgefallen ist, dass Mönchengladbach ja in Deutschland liegt und er da nicht mehr arbeiten will, ist natürlich Quatsch. Es bleiben nur Mutmaßungen, denn von Favres Seite gibt es zu diesem Thema keine offizielle Ansage. Dass der Schweizer extrem wankelmütig und damit auch unberechenbar ist, weiß mittlerweile aber jeder.

Favres Gründe bleiben Spekulation

Andererseits hat sich Favre seit seiner ‘Flucht’ aus Gladbach 2015 weiterentwickelt. In Nizza war er direkt erfolgreich, was wenig überraschte. Dass er allerdings mit Mario Balotelli einen der extravagantesten und schwierigsten Profis überhaupt bändigen konnte, hätten Favre nicht viele zugetraut. In seiner Zeit in Dortmund leistete Favre erwartungsgemäß ebenfalls richtig gute Arbeit. Auch wenn man das beim BVB bis heute nicht verstanden hat. Verwundert hat jedoch, dass Favre dieses unwürdige Verhalten von Watzke & Co fast bis zur Selbstverleugnung über sich ergehen lassen hat.

Wer das mitmacht, den sollte eigentlich eine Rückkehr nach Gladbach, wo ihm die Menschen zu Füßen liegen, nicht schrecken. Dass Favre trotzdem kurz vor dem Ziel abgesprungen ist, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass ihm die sportliche Perspektive zu unsicher war. Das ist nicht zu belegen, erscheint aber logisch. Denn wie der Kader aussehen wird, weiß im Moment niemand. Virkus & Co werden Favre allenfalls Pläne skizziert und Absichtserklärungen gegeben haben - etwas anderes konnten sie ja nicht. Und offensichtlich war Favre das in Summe zu wenig, um sich vollends auf das Abenteuer einzulassen.

Borussia - und Roland Virkus - müssen dringend das Heft des Handelns in die Hand nehmen und Fakten schaffen

Doch letztlich spielen die genauen Gründe für den Rückzieher auch keine Rolle mehr. Das Thema Lucien Favre ist abgehakt. Fakt ist aber, dass die Borussen im Moment nicht nur mit leeren Händen, sondern durch die unglückliche Kommunikation auch als Verlierer dastehen. Das ist in dieser ohnehin auf allen Ebenen extrem komplizierten Situation kontraproduktiv. Borussia - und Roland Virkus - müssen dringend das Heft des Handelns in die Hand nehmen und Fakten schaffen. Und - bitte, bitte - endlich durchdacht und professionell kommunizieren.

 


von Marc Basten

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