Was war das bitte für ein Spiel im Holstein-Stadion? Der neutrale Zuschauer wird sein Vergnügen gehabt haben bei diesem wilden Schlagabtausch. Auch wenn man eingestehen muss, dass das Spektakel nicht der herausragenden Performance der Spieler beider Teams geschuldet war, sondern ihrer teilweise hanebüchenen individuellen und kollektiven Fehler. Den Kielern war es am Ende egal - sie können nach dem unter dem Strich verdienten 4:3 gegen Gladbach weiter auf den Klassenerhalt hoffen.
Dagegen waren die Borussen nicht nur vom Resultat her der große Verlierer an diesem Nachmittag in Schleswig-Holstein. Der Auftritt der Fohlen zeigte klar, dass mehr verloren ging als nur ein Spiel. Mannschaft und Trainerteam sind dabei, die positiven Ansätze der laufenden Saison zu pulverisieren. Europa als „Add-on“ kann man abhaken – inzwischen steht sogar das profane Saisonziel „Einstelligkeit“ auf der Kippe.
Kleindienst: Die mitreißende Attitüde eines echten Leaders ist momentan nur noch in Ansätzen erkennbar
Den durchaus überraschenden Entwicklungsschritten, über die man sich im Verlauf der Saison freuen konnte, fehlt es ganz offensichtlich an Nachhaltigkeit. Die vermeintlich neu geschaffene Grundlage für gemeinsames Verteidigen war offenbar doch nicht solide, sondern auf Sand gebaut. Anders ist es nicht zu erklären, dass man es dem Tabellenletzten aus Kiel gestattet hat, neben den vier Toren noch ein halbes Dutzend weiterer hochkarätiger Chancen herauszuspielen.
Das Kollektiv funktioniert schon seit Wochen nicht mehr und was dabei herauskommt, wenn die Soloakteure vor sich hinwurschteln, hat man in den letzten vier Partien gesehen. Es fängt vorne an, wo Tim Kleindienst mit einer ganz anderen Körpersprache zu Werke geht, als vor der letzten Länderspielpause. Die mitreißende Attitüde eines echten Leaders ist momentan nur noch in Ansätzen erkennbar.
Das Konstrukt ist wackelig und der Stabilisator fehlt
Die Besetzung der offensiven Außenbahn ist im Hinblick auf die Kompaktheit in der Defensive nur dann wirklich passend, wenn Hack und Honorat fit sind. Dass Čvančara weiter auf dem Flügel eingesetzt wird, obwohl nun wirklich jeder erkannt haben sollte, dass er das nicht kann, ist rätselhaft. Oder Plea in Dortmund auf der linken Seite spielen zu lassen in dem Wissen, dass damit Linksverteidiger Ullrich ohne große Hilfe dastehen wird, war auch nicht förderlich für die defensive Stabilität.
Sobald im Konstrukt etwas an Solidität verloren geht, sind normalerweise die Sechser gefragt, hier für Ausgleich zu sorgen. Doch bei Borussia wird einem dann wieder schmerzhaft vor Augen geführt, dass Weigl kein resilienter Organisator ist und er nur dann funktioniert, wenn um ihn herum alle geordnet mitarbeiten. Die Kieler schafften es mit sehr einfachen Mitteln, nahezu ungestört an und in den Gladbacher Strafraum zu kommen.
Die Eindimensionalität fällt Borussia auf die Füße
Ohne Zweifel sind auch ziemliche Schwankungen in der Abwehrkette zu verzeichnen. Ullrich steckt in einem erklärbaren Leistungstief, ist aber selbst in dieser Form noch ein zuverlässigerer Verteidiger als Netz. Der krasse Fehler des kurzfristig eingesprungenen Chiarodia vor dem 0:2 ist ebenso erklärbar. Dass dem jungen Italiener bei seinen bisherigen Einsätzen schon recht viele unglückliche Aktionen unterlaufen sind, sollte man allerdings auch nicht gänzlich unter den Teppich kehren. Und da ist natürlich auch noch die Baustelle im Tor. Auch wenn Omlin dieses Mal einige hervorragende Paraden zeigte, sah er dennoch bei anderthalb Gegentoren nicht gut aus.
Mittlerweile fällt den Borussen auch die Eindimensionalität im Spielsystem auf die Füße. So richtig es ist, eine feste Grundausrichtung zu implementieren, so falsch ist es, diese nicht anpassen zu können, wenn relevante Spieler ausfallen bzw. nicht in Form sind. Spieler in unpassende Rollen zu zwängen, nur um am System festzuhalten, mag kurzfristig funktionieren – auf Dauer ist das aber keine Lösung. Dass man es in einer Saison mit vergleichsweise sehr langen Trainingswochen nicht geschafft hat, alternative Systeme zu erarbeiten, ist ein klares Versäumnis.
Es ist mehr notwendig, als nur an ein paar Stellschrauben zu drehen
Die Ratlosigkeit, mit der die Gladbacher nach der Pleite in Kiel vom Platz schlichen und ihre Erklärungsansätze, die ähnlich schwach herüberkommen wie die Leistung auf dem Rasen, sorgen für zusätzliche Ernüchterung. Der Monat April mit einem Punkt aus vier Spielen in einer Phase, als man eigentlich voller Selbstvertrauen eine unverhoffte Chance hätte ergreifen können, ist ein klarer Rückschlag für Borussia. Die Fortschritte sind bei Weitem nicht so groß, wie man zwischenzeitlich hoffen durfte. Inzwischen wird klar, dass im Sommer mehr gefragt ist, als nur an ein paar Stellschrauben zu drehen, um tatsächlich etwas Nachhaltiges aufzubauen.
von Marc Basten