»Manchmal ist es auch ganz gut, dass ich unter dem Radar fliege«

TF: Vor der Saison hatten dich noch weniger Leute auf dem Zettel als sonst ...

Tobias Strobl: Im Sommer war es nochmal eine andere Situation, weil ich aus der langen Verletzung gekommen bin. Da war es sicherlich noch ein bisschen mehr so, dass ich in der Verfolgerrolle war. So ist es aber generell meine ganze Karriere über, deswegen bin ich irgendwann mal gelassener geworden, was das Thema angeht.

TF: Wie sieht es mit deinem Knie aus? Gibt es da noch Nachwirkungen und befürchtest du, dass nochmal was passieren könnte?

Tobias Strobl: Ich habe überhaupt keine Angst mehr. Als ich das erste Mal wieder auf dem Platz stand, hatte ich einen blöden Zweikampf, bei dem ich mit dem Knie etwas weggeknickt bin. Das war natürlich ein Schreckmoment, aber als ich gemerkt habe, dass alles hält und in Ordnung ist, war das sehr wichtig für mich. So bekommt man das Vertrauen in seinen Körper zurück und kann auch wieder voll in die Zweikämpfe gehen.

TF: Es hat uns aber schon erstaunt, dass du in der Hinrunde so viele Spiele machen konntest ...

Tobias Strobl: Ich bin selber überrascht, dass ich die Anzahl der Spiele jetzt so gut verkraftet und keine Wehwehchen habe. Hoffentlich bleibt das so.

TF: Wie hast du die Zeit nach dem Kreuzbandriss erlebt?

Tobias Strobl: Das war natürlich nicht einfach. Erstmal bin ich froh, dass der Klub mir alle Zeit gegeben hat. Ich habe von Anfang an kommuniziert, dass ich nicht nach 6 Monaten wieder auf dem Platz stehen werde und mir auch keine Deadline gesetzt. Letztlich waren es 8 ½ Monate, aber ich wollte mich nicht stressen lassen und brauchte das volle Vertrauen in mein Knie. Es ist mein Körper und meine Zukunft.

TF: Im Sommer wurden die Karten durch die Systemumstellung kräftig durchgemischt, u.a. wurde aus der jahrelangen Doppelsechs der alleinige Sechser. Wie gefällt dir die neue Rolle?

Tobias Strobl: Ich fühle mich sehr wohl als alleiniger Sechser. Mir kommt das 4-3-3 zugute. Es macht mir Spaß, den Vorderleuten den Rücken freizuhalten und die Drecksarbeit zu erledigen.

TF: Was hat sich für dich verändert?

Tobias Strobl: Als alleiniger Sechser musst du noch mehr darauf bedacht sein, die Position zu halten. Wenn du da einfach nach vorne gehst, ist hinten relativ viel offen.

TF: Im Training ist bei den Spielformen zu sehen, dass du sehr viel dirigierst und sprichst. Ist das jetzt als Sechser besonders gefragt?

Tobias Strobl: Ich habe früher schon so dirigiert. Wenn ich mir meine Jungs zurechtstelle, brauche ich weniger zu laufen (lacht). Aber Spaß beiseite: Es ist wichtig auf der Position im zentralen Mittelfeld, dass du Anweisungen gibst. Du hast alle relativ nah bei dir und da muss mehr gesprochen werden. Im Stadion kommt es wegen der Kulisse nicht immer so an, aber ich versuche es.

TF: Auffällig in dieser Saison ist, dass du öfter mal einen weiten Verlagerungspass spielst ...

Tobias Strobl: Der Flugball ist schon eine Stärke von mir. Gerade wenn eine Seite zu ist oder man sich dort festgespielt hat, muss ja auf der anderen Seite Platz sein. Dann bin ich ein Fan davon, mit einem Flugball die Seite zu wechseln. Es ist ja nicht so, dass ich nur lange Bälle spiele. Aber zur rechten Zeit ist es ein gutes Mittel, um den Gegner in die Breite zu ziehen und Löcher zu bekommen.

TF: Im Trainingslager habt ihr viel am offensiven Pressingverhalten gearbeitet. Ist das ein Ansatz für die Rückrunde?

Tobias Strobl: Es hat uns am Anfang der Saison stark gemacht, dass wir höher in die Ballgewinne gekommen sind. Am Schluss haben wir uns vielleicht einen Tick zu sehr fallengelassen und nicht mehr so richtig den Zugriff bekommen. Wir wollen wieder ein höheres Pressing angehen, damit wir nicht 60 Meter zum gegnerischen Tor haben, sondern nur 30-40 Meter. Aber es ist auch immer vom Gegner abhängig, ob du vorne draufgehen kannst oder dich ein bisschen fallenlassen musst.

TF: Zuletzt haben die beiden nominellen Flügelstürmer oft sehr weit hinten agiert, meist noch tiefer als die Achter ...

Tobias Strobl: Davon wollen wir ein bisschen wegkommen, dass sich die Außenstürmer zu tief fallenlassen. In Hoffenheim, Dortmund oder auch in Leipzig haben wir ja teilweise mit einer Sechserkette verteidigt. Da kannst du nicht mehr agieren. Unsere Stärke ist das kompakte Mittelfeldpressing, aber nicht tiefer. Dass wir vorne anlaufen und dort die Bälle gewinnen, so dass man direkt vor dem gegnerischen Tor ist. Aber es geht auch darum, nur dann zu pressen, wenn es Sinn macht. Daran arbeiten wir im Training.

TF: Besteht die Gefahr, dass euer 4-3-3 inzwischen von den Gegnern entschlüsselt ist?

Tobias Strobl: Das 4-3-3 spielen mittlerweile bestimmt 12 Mannschaften in der Liga. Da spiegeln sich schon die Abläufe. Wir wissen, wann das System für uns seine Schwächen hat, wissen aber auch, wo der Gegner seine Schwächen hat. Wir versuchen, gewisse Automatismen reinzubringen, müssen gleichzeitig aber auch immer flexibel auf den Gegner reagieren können.

TF: Dein Hauptkonkurrent um den Platz in der Startelf ist Christoph Kramer. Bislang hast du zumeist die Nase vorn. Wie gehst du mit dem Kollegen um, der dir ja irgendwie deine Rolle streitig machen möchte?

Tobias Strobl: Ich habe ein ganz normales Verhältnis zu Chris. Seine Verletzung hat mir ein bisschen in die Karten gespielt. Aber wir nehmen uns nicht viel, wer auf der Position spielt. Es müssen andere beurteilen, wer das besser oder schlechter macht. Aber im Großen und Ganzen gehen wir das beide relativ gleich an.

TF: Du hast in der Hinrunde drei Spiele in Folge auf der Bank gesessen. Warst du sauer?

Tobias Strobl: Als Profi willst du immer spielen, natürlich war ich angefressen. Aber früher wäre das noch schlimmer gewesen, da habe ich mittlerweile einen ganz guten Mittelweg gefunden. Wir haben einen sehr guten Kader und der Konkurrenzkampf ist da. Wenn jemand nicht spielt, dann sollte er auch angefressen sein. Das zeigt einfach, dass er den Ehrgeiz hat und voll motiviert ist, in die Mannschaft zu kommen. Deswegen ist es völlig in Ordnung, wenn jemand sauer ist, solange das Team dabei nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.

TF: Wie gehst du eigentlich mit Kritik um?

Tobias Strobl: Ich finde konstruktive Kritik generell wichtig. Man lernt am meisten, wenn man einen auf den Deckel bekommt. Natürlich nur dann, wenn die Kritik berechtigt ist und man sie auch annimmt. Aber auch das ist ein Lernprozess. Früher war ich auch eher beleidigt und dachte, was wollt ihr jetzt von mir. Damit meine ich nicht nur die Medien, sondern auch die Freunde und das ganze Drumherum. Mittlerweile kann ich das alles ganz gut einordnen.

TF: In Dortmund hast du Innenverteidiger gespielt und der junge Jordan Beyer neben dir macht ein Bombenspiel, aber ihm unterläuft der Fehler vor dem 0:1. Was hast du da gedacht?

Tobias Strobl: Fehler machen wir alle. Aber mir hat richtig imponiert, wie er damit umgegangen ist und vor 80.000 Leuten einfach weiterspielt und sich nicht beeindrucken lässt. Jordan ist ein super Spieler, der gerade mal 18 Jahre alt ist. Als ich in dem Alter war, hatte ich noch deutlich mehr Flausen im Kopf.

TF: Aber geht es heutzutage für so junge Spieler nicht manchmal zu schnell? Wir denken da an Michael Cuisance, den man gleich in seinem ersten Jahr zum Spieler der Saison erkoren hat ...

Tobias Strobl: Ich weiß nicht, ob man ihm damit einen Gefallen getan hat. Er muss noch viel lernen, aber er ist ein toller Spieler, das sieht auch jeder. In fünf Jahren, wenn er mal zurückschaut, wird er sagen, dass es eine lehrreiche Zeit war. Ich bin sicher, dass er seinen Weg machen wird ...

TF: Blicken wir auf die Rückrunde. Könnte es passieren, dass innerhalb eures Teams eine unterschwellige Selbstgefälligkeit aufkommt?

Tobias Strobl: Klar hast du die Gefahr einer Selbstzufriedenheit, wenn du so eine gute Hinrunde spielst. Aber ich bin überzeugt davon, dass das bei uns in der Mannschaft nicht die Runde macht. Jeder möchte das bestätigen, was er gespielt hat und möchte sich auch weiterentwickeln. Wir wissen, dass in der Hinrunde sehr viel gut für uns gelaufen ist und die Rückrunde alles andere als ein Selbstläufer wird.

TF: Also werden sich die 33 Punkte aus der Hinrunde nicht wiederholen lassen?

Tobias Strobl: Wir sollten von der Erwartungshaltung wegkommen, dass wir die nochmal holen. Wir nehmen nicht die Ansprüche zurück, denn schließlich wollen wir jedes Spiel gewinnen. Aber wenn man es realistisch sieht, waren die 33 Punkte für uns schon eine sehr gute Ausbeute. Am Anfang der Saison wurden wir ein bisschen unterschätzt, uns hatte niemand so richtig auf dem Schirm. Das Harte wird sein, dass wir uns nicht verunsichern lassen, wenn Rückschläge kommen. Auch wenn du mal zwei Spiele verlierst, musst du ruhig bleiben und darfst nicht anfangen zu sehr nachzudenken.

TF: Da dürfte dieses ›von Spiel zu Spiel denken‹ bei helfen, oder?

Tobias Strobl: Auch wenn es nur eine Floskel ist - für mich ist es das einzig Richtige zu sagen, dass wir von Spiel zu Spiel schauen. Es bringt nichts, schon an das übernächste Spiel zu denken. Jeder Gegner ist anders, du musst dich immer wieder auf neue Dinge einstellen. Deswegen sollten wir weiter so fahren und den Fokus auf die einzelnen Spiele nicht verlieren.

TF: Also spielt das ›große Ganze‹ tatsächlich noch keine Rolle?

Tobias Strobl: Nein! Was haben wir davon, wenn wir uns damit beschäftigen, was im Mai sein könnte? Natürlich hat jeder seine Ziele im Kopf, das sollte man auch haben. Es ist aber ein langer Weg und daher sollte man von Spiel zu Spiel schauen, wie sich das Puzzle zusammensetzt.

von Marc Basten, Niklas Kirchhofer und Nadine Basten